Der Kaninchenstall - Tess Gunty

Das fiktive Vacca Vale im nicht-fiktiven „Rust Belt“ im Nordosten der USA. Früher eine boomende Industrieregion, ist sie heute geprägt von Arbeitslosigkeit und Kriminalität, dem urbanen Verfall überlassen. Mais und Sojabohnen soweit das Auge reicht. Ansonsten Dürre, lebloser Boden. In einem Wohnungskomplex treffen Leben aufeinander. Da ist Joan aus Apartment C2 mit ihren Plastikpflanzen, für echte fehlt ihr bisher der Mut und das Selbstvertrauen. Die junge Hope aus C8, die nichts lieber sein wollte als Mutter, und nun zu Hause mit ihrem Baby mit den gruseligen Augen und postpartalen Depressionen versumpft. Die drei Halbstarken in C4, durchs System gefallen und vergessen, die aus Langweile Tiere töten und ihrer neuen Mitbewohnerin opfern. Willkommen im Kaninchenstall!

Die 18jährige Blandine, ehemals Tiffany, verehrt die alten Mystikerinnen, allen voran Hildegard von Bingen; bewundert besonders deren Fähigkeit, ihren Körper zu verlassen und der Realität zu entfliehen, ihre Unantastbarkeit. Blandines Schicksal ist herzzerreißend und macht unglaublich wütend, ist es doch exemplarisch für die strukturellen Missstände in den USA. Die ersten 11 Jahre bei der Großmutter liegen im Dunkeln, da sind keinerlei Erinnerungen. Später eine Pflegefamilie, die sich bemühte, immerhin. WG-Leben quasi. Ein Highschool-Stipendium für das begabte Mädchen, eine vermeintliche Chance. Sie fällt auf mit ihrer ätherischen Aura, andere Jugendliche grenzen sie aus, ihr Theater-Lehrer erkennt und missbraucht ihren Hunger nach Liebe, nach Anerkennung.

Tess Guntys Debüt hat bereits einige Preise abgestaubt und das nur zu recht, denn es hat den Finger sowohl stilistisch als auch inhaltlich am Puls der Zeit. Guntys Sprache ist frisch und modern, humorvoll und emphatisch. Atmet Präsenz. All ihre Figuren struggeln mit den Anforderungen des Lebens, der Hoffnungslosigkeit ihrer Situation, den Barrieren, die soziale Netzwerke zwischen uns aufbauen. Einer Tristesse, die als Nährboden für asoziale Verhaltensweisen fungiert. Tiefer Einsamkeit. Doch hier und da blitzt sie selbst in diesem verfluchten Ort auf, die Menschlichkeit, wie ein helles Licht am Ende des Tunnels.

Sind es viele aktuelle Themen, die Gunty hier abhandelt? Definitiv. Hat man den Eindruck, die Autorin arbeite diese einfach ab, hangele sich daran entlang? Kein Stück. Für mich das Buch der Stunde und eine aufregende neue Stimme, die ich im Blick behalten werde. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz – tolle Übersetzungsarbeit übrigens.

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