Weihnachten in Prag - Jaroslav Rudiš

Morgen ist der zweite Advent und vielleicht sucht ihr noch eine zauberhafte Geschichte, die ganz ohne Kitsch und Klamauk daherkommt, etwas Feines fürs Herz für euch selber oder zum Verschenken? Dann ist „Weihnachten in Prag“ von Jaroslav Rudiš mit atmosphärischen Illustrationen von Jaromir 99 meine große Empfehlung.

„Das erste Mal im Leben ging ich am Prager Hauptbahnhof verloren. Das erste, aber nicht das letzte Mal. Ich war sechs, und es war ein paar Tage vor Weihnachten. Heute bin ich älter, steige aus dem Zug und lasse die Menschen an mir vorbeiströmen. Ich stehe inmitten der hohen Halle aus Glas und Stahl. Heute ist nicht ein paar Tage vor Weihnachten. Heute ist Heiligabend.“ 

Jára ist an diesem 24. Dezemberabend mit Freunden verabredet, dafür ist er extra angereist. Als er diese nicht erreichen kann, beginnt er spontan einen Streifzug durch das verschneite Prag, an der schwermütigen Moldau entlang und durch die Vielzahl an Kneipen, wo er sich hier und da auf ein frisches Bier und ein paar Worte niederlässt. Dabei begegnet er nicht nur den berühmten Geistern dieser alten Stadt, sondern auch drei einsamen, nur zu realen Gestalten. Da ist Kavka, genannt Kafka, der immer an Heiligabend auf wundersame Weise zu leuchten beginnt wie ein Leuchtturm. Der König von Prag, der die Schlüssel zu allen Türen besitzt und die Stadt und ihre Bewohner kennt wie kein Zweiter. Und eine Italienerin aus Milano, die ihren „Tesoro“ betrauert, ihren Liebsten, der Straßenbahnen verehrte, Friedhöfe und Kirchen, den Schnee und überhaupt alles, solange es nur in Prag war. Sie alle haben angeknackste Herzen, tragen Blessuren des Lebens in sich und erwarten nicht viel von diesem Abend – bloß allein sein, das wollen sie nicht. Und so sehen wir sie einträchtig durch die Straßen ziehen, diese vier Weisen der etwas anderen Art, und für einen kurzen Moment scheint alles möglich, Güte und Freundlichkeit real, ein kleines Wunder zum Greifen nah. Vielleicht ist Prag wirklich die nördlichste Stadt Italiens und vielleicht ist die schönste Kirche der Stadt gar keine Kirche und das Christkind ein alter Eisenbahner. Wer weiß? 

Zurück
Zurück

Das Nachthaus - Jo Nesbø

Weiter
Weiter

Der Trost der Schönheit - Gabriele von Arnim