Drei Uhr morgens - Gianrico Carofiglio

Antonio ist gerade 18, als er mit seinem Vater von Italien nach Marseille reist. Ein besonders fähiger Arzt wird den jungen Mann wegen seiner im Kindesalter aufgetretenen Epilepsie begutachten und diese bestenfalls neu bewerten. Dort angekommen erwartet die beiden ein ungewöhnlicher Auftrag. Sie sollen zwei Nächte wach bleiben, Antonios Körper so in einen Ausnahmezustand versetzt und auf seine Belastbarkeit hin überprüft werden. Überraschend sehen Vater und Sohn sich nun mit viel freier, gemeinsamer Zeit konfrontiert, einem Zustand, der ihnen auf Anhieb wenig geheuer ist. Denn wie plötzlich umgehen mit diesem fast fremden Menschen? Die Trennung der Eltern ist lange her, Vater und Kind sich lange schon nicht mehr vertraut. Sie lassen sich treiben, folgen anfangs noch zaghaft der Strömung der flirrenden Stadt, den Ratschlägen der Einheimischen und beginnen zunehmend Gefallen an der Sache zu finden, aneinander und am Zauber des Balikwas. „Das ist Tagalog, die Hauptsprache der Philippinen. Es ist schwer zu übersetzen. Es bedeutet so viel wie: unverhofft in eine neue Situation springen, den Blickwinkel ändern, die Dinge, die wir zu kennen glauben, in einem anderen Licht sehen.“ S. 171

Völlig ohne Kitsch und Pathos kommt diese Geschichte einer zarten Annäherung aus, die sich intensiv und atmosphärisch auf wenigen Seiten entfaltet, eine leichte Melancholie verströmend, die mich konstant umfangen hielt. Da steckt ganz viel Klugheit drin, Sanftheit, ein sicheres Gespür für Beziehungen und ihre Tücken, für Nähe und Distanz, und wie die eine die andere zu überwinden vermag in kleinen Momenten wahrer Intimität. Eine ganz zauberhafte, inspirierende Lektüre, die es auch schon als Taschenbuch gibt. Lesen bitte!

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull.

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