V13 - Emmanuel Carrère

Am Freitag, dem 13. November 2015, wurden bei mehreren Selbstmord-Attentaten in Paris 130 Menschen getötet und mehrere Hundert zum Teil schwer verletzt. Der Islamische Staat bekannte sich zu den Terroranschlägen, unter der Bezeichnung „V13“, vendredi 13, wurde den überlebenden, mutmaßlichen (Mit)Tätern 2021 der Prozess gemacht. Ein beispielloser Jahrhundertprozess begann, der fast ein Jahr dauern würde und das nationale Trauma heilen sollte, wenigstens ein bisschen.

Emmanuel Carrère, Journalist und Autor, hat die Gerichtsverhandlung verfolgt und ein starkes Porträt derselben verfasst, ein Plädoyer für die Aussöhnung, eine Darstellung fern trockener Berichterstattung mit intimen Einblicken in zutiefst erschütternde Lebensgeschichten, sowohl auf Seiten der Opfer als auch der Täter. Es ist genau dieser Raum für Zwischentöne, der mich für sich einnahm und berührte, der mir so oft und so schmerzhaft fehlt dieser Tage. Zwischentöne, die es doch überall gibt und erlaubt sind, es dringend sein müssen. Denn neben der offensichtlichen Grausamkeit der Tat, offenbaren sich auch hier Momente großer Menschlichkeit wie kleine Lichter in der Dunkelheit, zeigt sich Hoffnung, wo sie kaum zu erwarten ist.

Das war ein ziemliches Gefühlskarussell! Anfangs die Sorge, ein solches Buch könnte Kluften vertiefen, vielleicht sogar Hass schüren auf die muslimische Bevölkerung, Öl ins immer höher wachsende Feuer der Fremdenfeindlichkeit gießen. Dann Wut auf diese radikalisierten Menschen, die eine Religion in den Dreck ziehen und im Namen dieser mit einem Lachen im Gesicht und reinem Herzen morden. Wut auch auf den Hochmut der westlichen Welt, auf Regierungen, die Krieg führen, immer wieder, die meinen, andere Teile der Welt verbessern und Menschen retten zu können, und am Ende geht es doch nur um Macht und Geld, niedere Beweggründe. Erschütterung über die Schicksale der Beteiligten, die Schilderungen der Ereignisse. Trauer. Ermüdung. Das unbequeme Gefühl, eine Voyeuristin zu sein, mich derart fesseln zu lassen von der Tragödie anderer. Und: Versöhnung, tatsächlich. Überraschend. Beglückend. Eine erhellende, bewegende Lektüre und ein literarisches Zeugnis unserer zerrütteten Zeit.

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