Verschwinden in Lawinen - Robert Prosser

„Stehen, knien, sitzen. Aus allen Mündern: Amen. In der ersten Reihe hockten die Eltern des Jungen. Das Murmeln im Rücken, das Rascheln der Kleidung, bewies ihnen die vereinte Unterstützung. […] Er blickte zu Boden. […] Er dachte an die Lawine. An dieses Phänomen und was es bedeutete. Das Knacken, als ob ein jagendes Wesen aus dem Gebüsch bricht, der Riss im Schnee, sekundenschnell wächst eine Gewalt, die abwärts stürzt und alles frisst, auch die Luft zum Atmen.“ S.11

Ein tragisches Unglück ist geschehen am Berg. Zwei junge Menschen wurden von einer Lawine überrollt, das Mädchen wird bald verletzt gefunden, sein Freund bleibt vermisst. Xavers Nichte Tina kämpft nun im Krankenhaus ums Überleben während dieser, ein Schauspieler in den Kinderschuhen und Daheimgebliebener, sich wild entschlossen dem Rettungsteam anschließt. Auf der Suche nach Noah spürt er bald eine Unruhe in sich aufsteigen, wird er jäh von Erinnerungen an den vor vielen Jahren verschollenen Großvater übermannt. Damals war es Sommer, auch dann verschwinden Menschen am Berg, verschwinden und werden gar nie mehr gefunden, oder eben doch, aber erst viel später, dann kaum noch wieder zu erkennen. Und manche könnten rechtzeitig gefunden werden, wenn man selbst ein bisschen mehr Mut hätte, kein solcher Hasenfuß wäre.

Aberglaube trifft auf Skepsis in diesem Dorf, beides ist den Menschen wohlbekannt und ringt miteinander im Angesicht der Tragödien, die zum Leben dort dazugehören. So entwickelt sich die Suche nach dem Jungen für Xaver zu einer längst überfälligen nach dem eigenen Platz auf dieser Welt, rührt an einem Gefühl des tiefsten Versagens und dem dringenden Wunsch nach Wiedergutmachung.

Robert Prossers „Verschwinden in Lawinen“ jongliert geschickt mit den menschlichen Regungen und Bedürfnissen, der Bedeutung von Signifikanz im eigenen Leben. Es ist ein Heimatroman im besten Sinne, atmosphärisch und dicht, bildgewaltig; jedes Wort sitzt, hier wird etwas genauestens auserzählt, dort ganz knapp gehalten, schnörkel- und kompromisslos. Österreichische Literatur par excellence und eine Empfehlung von mir.

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Tod und Trauer

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